Wenn Schultern nichts mehr (er-)tragen

Wenn Self-Publisher auf ein Lektorat ihres Textes verzichten oder ein schlechtes Lektorat erwischen, sind sprachliche Schwachstellen, die meist tief in uns verankert sind, im Endprodukt vorhanden.

Das sieht dann beispielsweise so aus [Passagen aus einem Self-Publishing-Roman am Beispiel von „Schulter“ (dieser Körperteil übernimmt insbesondere in Büchern, die weniger als EUR 9,00 kosten, wortwörtlich tragende Rollen)]:

zuckt (glücklich, erbost, ratlos, verwirrt, verängstigt, nickend) mit den Schultern, die Schultern beben, die Schultern schütteln sich, hochgezogene Schultern, Schultern hochziehen, klopft sich selbst mental auf die Schulter, kneift jemanden in die Schulter, krächzt auf die Schulter, zerrt jemanden unsanft an der Schulter hoch, rammt jemandem die Fäuste ins Schulterblatt, seine verspannten Schultern lockern sich, etwas lastet so schwer auf ihren Schultern, mit bebenden Schultern die Augen verdecken, zeigt über die Schulter, an der Schulter fassen, sein Mund berührt ganz zart ihre Schulter, er kämmt ihr das Haar über eine Schulter, jemand schlägt jemandem auf die Schulter, einen schweren Arm um die Schulter legen, einen Stoß gegen die Schulter geben, enttäuscht die Schultern sacken lassen, selig in die Schulter schluchzen

Wenn Schultern nichts mehr (er-)tragen.

Weitere Highlights: Feuchtigkeit schwimmt (statt: schimmert) in ihren Augen, es erscheint ein seitliches (statt: schiefes) Lächeln auf den Lippen, schwimmende Augen (?), in mir wurde der Same gesät (ungewollt zweideutig), sie rollt ihre Stirn an seiner zur Seite und wieder zurück, lächelt kurz und schnaubt blinzelnd, nickt so eifrig, dass ihr schwindelig wird (?), auf den Boden der Realität kommen (falsche Redewendung), wirft beim Einatmen den Kopf in den Nacken, etwas war ziemlich tief (statt: tiefgründig)

Immer wieder findet sich außerdem der zusammengepresste (oder angespannte) Kiefer.

Schreibtipps: Mimik und Gestik der Figuren werden häufig zu genau geschildert und falsche Ausdrücke zigfach im Text untergebracht. Deshalb: Die beschriebene Körperbewegung nachmachen. Ist sie anatomisch überhaupt möglich? Schlüssig formulieren und Adverbien vermeiden: Sie nickt. (Nicht: Sie nickt verzagt/lächelnd/wissend.)

Lesetipp zum Thema „Das Adverb ist nicht Ihr Freund!“: Stephen King: Das Leben und das Schreiben. Wilhelm Heyne Verlag, München.

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